Seit dem 1. Mai 2020 ist Arne Frankenstein Bremens Landesbehindertenbeauftragter. Sein Job: die Teilhabe behinderter Menschen im Land Bremen stärken. Und das in allen verschiedenen Lebensbereichen. Von der Bildung über die Gesundheit bis hin zur Arbeit. Denn Behinderungen und ihre Konsequenzen haben einen großen Einfluss darauf, wie Menschen in ihrem Alltag handeln können – und behandelt werden. Mit seinem juristischen Hintergrund, Erfahrung in der Verbandsarbeit und seiner Kommunikationskompetenz in der Vermittlung mit der Zivilgesellschaft ist er genau die richtige Besetzung für das Amt des Landesbehindertenbeauftragten. Das Fundament der Arbeit des 9-köpfigen Teams ist übrigens die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006, die in Deutschland seit 2009 in Kraft ist.
2025 feiert das Team des Landesbehindertenbeauftragten das 20. Jubiläum – Grund genug auf alles zurückzublicken, was bis hier schon passiert ist. International betrachtet waren es die 70er und 80er Jahre, die vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika durch laute Proteste und Demonstrationen behinderter Menschen geprägt waren. In den 80er Jahren schwappte die Bewegung auch nach Deutschland. „Bremen wurde schnell zum Melting Pot der Szene“, erzählt Arne Frankenstein, der übrigens in Hamburg Jura studierte und für das Referendariat an die Weser kam. Die erste „Krüppel-Gruppe“ Deutschlands gründete sich 1980 als Krüppelselbsthilfe e.V. im Bremer Ostertor. Heute heißt der Verein „SelbstBestimmt Leben Bremen“ und berät Menschen mit Behinderungen – vor seiner Zeit als Beauftragter war der gebürtige Lübecker von 2016 bis 2020 dort Vorsitzender des Vorstands.
Seit 2005 gibt es die Stelle des Landesbehindertenbeauftragten in Bremen. „Und ich bin in die großen Fußstapfen von Dr. Joachim Steinbrück getreten, der hier immense Vorarbeit geleistet hat“, wertschätzt Arne Frankenstein die Anstrengungen seines Vorgängers. Das Besondere am Landesbehindertenbeauftragten: „Wir sind der Bremischen Bürgerschaft institutionell angegliedert – und gehören damit nicht zum Senat oder einem einzelnen Ressort“, erklärt der studierte Jurist. Außerdem ist der Beauftragte für jeweils sechs Jahre gewählt und damit unabhängig von Legislaturperioden. Arne Frankenstein findet, dass der Gesetzgeber das klug geregelt hat: „Ich bin an Recht und Gesetz gebunden, aber im Übrigen frei in der Ausübung meines Amtes und unterliege keiner politischen Weisung.“ Diese Unabhängigkeit von der Exekutiven empfindet der Landesbehindertenbeauftragte als besonders sinnvoll, weil der Arbeitsalltag immer wieder die Herausforderung birgt, zwischen verschiedenen Interessen zu vermitteln. „Wer Konflikte austragen und gute Lösungen finden will, darf keinem anderen als dem Sachinteresse verpflichtet sein,“ so der 38-Jährige.
Das Team des Landesbehindertenbeauftragten genießt ein großes Maß an Unabhängigkeit – muss aber gleichzeitig auch eine immense Themenvielfalt stemmen, quer durch alle erdenklichen Lebensbereiche.
In Bremen – und einigen anderen Bundesländern – gibt es übrigens die Vorgabe, dass der oder die Landesbehindertenbeauftragte selbst eine Behinderung haben muss. Der Hintergrund: Wer selbst mit einer Behinderung lebt und weiß, wie das Leben mit Benachteiligungen wirklich aussieht, kann die vielfältigen Fragen, Anliegen und Probleme behinderter Menschen besser nachvollziehen. Dabei geht es nicht darum, dass Arne Frankenstein sich in jede Situation, jede Behinderung und jede Diskriminierung hineinversetzen kann. Aber er weiß, was die strukturelle Benachteiligung behinderter Menschen bedeutet.
Heute ist es im Land Bremen gesetzlich verankert, dass der Landesbehindertenbeauftragte bei Gesetzes- und Verordnungsvorhaben des Senats beteiligt wird, wenn sie die Belange behinderter Menschen berühren. Während der Landesbehindertenbeauftragte zu Beginn noch regelmäßig die Hand heben musste, um nicht vergessen zu werden, sind über die Jahre gute Kooperationen und Routinen mit vielen Ressorts und Dienststellen gewachsen. „Wir werden heute oft beteiligt, das ist positiv“, bekräftigt Arne Frankenstein. Und dennoch seien konkrete rechtliche Vorgaben für den Fall, dass dies unterbleibt, wünschenswert. „Aus meiner Sicht müsste es die Möglichkeit geben, eine Vorlage anzuhalten, wenn versäumt wurde, uns einzubeziehen.“ Dass Frankenstein „Prozesshanselei“ betreiben würde, wie er es nennt, ist jedenfalls nicht zu erwarten. Zu bewusst ist ihm, dass zwar eine ordentliche Portion Konfliktbereitschaft für seine Aufgaben wichtig ist, aber ebenso eine Lösungsorientierung und die Fähigkeit, Kompromisse zu finden.
„Wir haben noch einen gewaltigen Weg vor uns, denn Inklusion ist kein Projekt, sondern eine Haltung“, bringt der Landesbehindertenbeauftragte es auf den Punkt. Deutlich wird das insbesondere beim Blick in die Historie, in der behinderte Menschen erst systematisch vernichtet und später in Wohnheimen geparkt, in Förderschulen unterrichtet oder in Werkstätten vom ersten Arbeitsmarkt ferngehalten wurden. Arne Frankenstein arbeitet mit seinem Team täglich und beharrlich daran, das gesellschaftliche Umdenken anzukurbeln: von einer (Für-)Sorgegesellschaft für Behinderte hin zu einer tatsächlich selbstbestimmten Teilhabe. „Besonders wichtig ist mir, dass wir gemeinsam Sonderstrukturen abbauen – und Inklusion stärken. Das in allen Lebensbereichen zu erreichen ist eine weiterhin sehr große Aufgabe.“
„Ein gutes Beispiel für die Arbeit, die noch vor uns liegt, ist der Schulalltag.“ Dieses System müsse einen Wandel erleben, denn es dürfe nicht an der Verfügbarkeit von Schulassistenzen hängen, ob Kinder mit Behinderung die Schule besuchen können. „Schulen, aber auch Kindergärten müssen darauf vorbereitet sein, mit der Unterschiedlichkeit von Kindern umzugehen“, davon ist Arne Frankenstein überzeugt. Aber auch in puncto Mobilität ist das Leben für Behinderte in Bremen nicht leicht – allein schon mit Blick auf die Barrierefreiheit. Öffentliche Gebäude, ärztliche Praxen oder der ÖPNV sind längst nicht barrierefrei umgebaut – und hierbei blicken wir nur auf die physischen Barrieren. Auch im Digitalen kann es zu Ausschluss kommen, wenn technische und redaktionelle Vorgaben der Barrierefreiheit nicht berücksichtigt werden. So kommt es auch, dass das Team des Landesbehindertenbeauftragten nicht nur eigene Themen anstößt, sondern auch die zentrale Stelle ist, an die Bürger:innen mit Behinderung sich wenden können, wenn sie aufgrund ihrer Behinderung benachteiligt werden.
Arne Frankenstein sieht seine Aufgabe darin, die Rechte behinderter Menschen immer wieder und in jedem Kontext laut zu betonen – denn sie dürfen nicht vergessen werden. „In einer Zeit, in der Minderheitenrechte zunehmend unter Druck geraten, in der Gelder immer knapper und Sparauflagen größer werden, darf es nicht passieren, dass die Bestrebungen zur Teilhabe behinderter Menschen gestrichen werden.“ Denn ja: Es kann aufwendiger und mitunter auch teurer sein, alle Bedürfnisse einzuplanen – aber es geht um die Umsetzung von Menschenrechten, die universell gelten, weiß der Landesbehindertenbeauftragte.
Besonders stolz ist er darauf, dass sein Team voller Überzeugung und hohem persönlichen Engagement für die Belange behinderter Menschen einsteht – jeden Tag. Alle Mitarbeitenden wissen, dass ihre Arbeit wichtig ist und dazu beiträgt, dass die Gesellschaft sich positiv verändert und Menschenrechte gewahrt bleiben. „Schon in der Vergangenheit hat Bremen in diesem Thema bewiesen, dass der Schulterschluss zwischen Verwaltung und Politik sehr gut funktioniert. Auch für die Zukunft ist das in einer zunehmend auseinanderdriftenden Gesellschaft mein großer Wunsch, denn das Ziel einer inklusiven Gesellschaft ist kein Nice-to-have, kein Baustein von Sozialpolitik, sondern ein gesamtgesellschaftliches Querschnittsthema, das uns alle angeht“, stellt Arne Frankenstein fest.
Und zum Schluss? Da betont Bremens Landesbehindertenbeauftragter: „Die Unabhängigkeit meiner Tätigkeit sichert ab, dass ich den Finger in die Wunde legen kann. Sie bietet mir einigen Freiraum in der Ausübung des Amtes, bedeutet aber auch Verantwortung. Diese will ich dazu nutzen, um mit meiner Arbeit einen Beitrag zum Schutz der Demokratie zu leisten. Denn Demokratie und Inklusion sind für mich zwei Seiten derselben Medaille.“
Fotos: Michael Schnelle, Fotoarchiv SKB-Bremen