"Hilflosigkeit, Angst und wiederum Hilfe" – mit diesen drei Worten beschreibt der betriebliche Suchtkrankenhelfer Werner Fechner den Kreislauf der Abhängigkeit. Er berichtet auch aus der Sicht eines Betroffenen – aus eigener Erfahrung.

Werner Fechner und andere betriebliche Suchtkrankenhelfer:innen in den Dienststellen üben diese nebenamtliche Aufgabe im Rahmen der "Dienstvereinbarung zur Suchtprävention und zum Umgang mit Auffälligkeiten am Arbeitsplatz" aus.

Unsere heutigen Gastgeber:innen, Sandra Mehrtens und Werner Fechner, treffen wir in der Anlaufstelle der Betrieblichen Suchtkrankenhilfe beim Senator für Finanzen. "Im wirklichen Leben" arbeitet Sandra Mehrtens schon lange bei Performa Nord. Etwa 30 Jahre ist sie schon Teil des bremischen öffentlichen Dienstes, rund 13 Jahre davon als Ansprechperson für Suchtfragen. Werner Fechner wiederum ist seit eh und je bei der Landeshauptkasse im Bereich Vollstreckung. 26 Jahre hilft er schon als Suchtberater und profitiert dabei auch von seinem eigenen Lebensweg und den gemachten Erfahrungen.

Neben den Süchten nach Alkohol, Drogen und Medikamenten nimmt auch die allgemeine Online-Sucht, begünstigt durch die häufige Nutzung der Smartphones, immer mehr zu. Darüber hinaus gehören auch Magersucht und allgemeine Essstörungen zum Aufgabengebiet der Betrieblichen Suchtkrankenhilfe. "Der Stoff ist austauschbar, die Symptome sind dieselben", erklären die beiden.
Neben allen Betroffenen gibt es auch Co-Abhängige: Wenn beispielsweise der/die Partner:in zu Hause trinkt oder das eigene Kind Marihuana konsumiert oder spielsüchtig ist, kann man sich auf die Arbeit nicht richtig konzentrieren. "Wir sind für alle ansprechbar", verdeutlichen beide wieder unisono.

Foto von Frau Mehrtens, Herrn Fechner und Frau Viebrock im Gespräch
Foto: Michael Schnelle, SKB Bremen

Neben ihrer alltäglichen Arbeit sind unsere beiden Gastgeber:innen Anlaufstelle für Kolleg:innen mit erhöhtem Substanzkonsum oder auch mit potentiell co-abhängigem Verhalten für ihre jeweiligen Dienststellen, heißt in diesem Falle für die Beschäftigten der Performa Nord oder Landeshauptkasse. Darüber hinaus findet beim Senator für Finanzen montags die Selbsthilfegruppe für Suchterkrankte unter der Leitung von Werner Fechner (und zwei weiterer Kolleg:innen) statt. Dienstags begleiten sie die Gruppe der Essgestörten.
Zudem schult Sandra Mehrtens Führungskräfte für einen sensiblen und richtigen Umgang mit diesem Thema. Monatlich treffen sich die beiden zum Erfahrungsaustausch mit allen Ansprechpersonen für Suchtfragen und Suchtkrankenhelfenden der Freien Hansestadt Bremen, der von Susanne Pape aus dem Referat 33 des Senators für Finanzen organisiert und geleitet wird.

Das Foto zeigt Frau Mehrtens und Frau Viebrock im Gespräch.
Foto: Michael Schnelle, SKB Bremen

Sandra Mehrtens beschreibt die Tätigkeit der Ansprechperson für Suchtfragen als vertraulich, bewegend und spannend. Man entwickle sich in der Persönlichkeit unglaublich weiter und auch das Kommunikationsverhalten verändere bzw. verbessere sich. Das aktive Zuhören, was bei der Beratung unumgänglich ist, lehrt die Zurücknahme des eigenen Ichs und die Fokussierung auf das Gegenüber. "Der Mensch steht hier im Fokus", betont sie. Werner Fechner nickt und ergänzt noch, dass die Vernetzung untereinander enorm wichtig sei, daher auch der Erfahrungsaustausch. Sie sind sich mal wieder einig: "Es ist einfach eine unglaublich sinnstiftende Arbeit und auch eine Abwechslung zum Büroalltag."

Dennoch wird deutlich, dass ein langer Atem vonnöten ist. Die Qualifizierung umfasst mehrere Blöcke Unterricht, je nach Anbieter:in am Wochenende oder in der Woche sowie ein Pflichtpraktikum. Insgesamt schätzt Sandra Mehrtens den Aufwand auf ein halbes Jahr, bis man als Ansprechperson für Suchtfragen im bremischen öffentlichen Dienst tätig werden kann.

"Ich hatte mal eine schwer essgestörte Person mit fortgeschrittenem Krankheitsverlauf in der Beratung. Mit ihr bin ich sofort in die Klinik gefahren. Sie hat sich dann zwar selbst entlassen und somit die Therapie abgebrochen. Letztendlich hat die Person es aber geschafft und ist wieder arbeitsfähig. Ich habe aber auch schon viele Menschen sterben sehen", resümiert Werner Fechner. "Wir haben keinen Rettungsauftrag", pflichtet seine Kollegin ihm bei. "Genau, ich kann schon viel helfen, aber ich bin kein Therapeut", fasst der gebürtige Bremer zusammen.

Im Bereich der Beratung, da sind sich beide einig, werden wohl die Auswirkungen der Corona-Pandemie in ein paar Jahren erst richtig zu spüren sein.
Da die Suchterkrankungen nicht weniger werden, wünschen sich sowohl der Werderfan als auch die Hobby-Reiterin Anlaufstellen der Suchtkrankenhilfe flächendeckend in allen Dienststellen des bremischen öffentlichen Dienstes. Die Suchtprävention sollte überall gelebter Teil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) sein. Dafür ist ein transparenter Umgang mit der Abhängigkeitsgefährdung vonnöten. "In den Schulungen und Beratungen ist zu merken, dass die Führungskräfte offener gegenüber dieser Thematik werden. Man kann natürlich nie pauschalisieren, aber die Zeiten, dass solche Probleme nicht gesehen werden, sind zum Glück vorbei", erklärt Sandra Mehrtens. "Früher wurden Problemfälle oft einfach versetzt; dann ist man die Person und das Problem los, aber es hilft dem Menschen nicht", ergänzt ihr Kollege.
Vor 10 Jahren etwa saßen die beiden mit über 30 anderen Suchtkrankenhelfenden im Erfahrungsaustausch, heute sind sie knapp die Hälfte. "Wir haben ein echtes Nachwuchsproblem", blickt Sandra Mehrtens sorgenvoll in die Zukunft.

Weitere Informationen finden Sie, liebe Leser:innen, in der "Dienstvereinbarung zur Suchtprävention und zum Umgang mit Auffälligkeiten am Arbeitsplatz". Wenn Sie Interesse haben, das Team zu verstärken, melden Sie sich gerne bei Susanne Pape (susanne.pape@finanzen.bremen.de).

Vielleicht haben Sie nun auch die eine oder andere Frage. Informieren Sie sich gern in Ihrer eigenen Dienststelle über die Existenz einer Betrieblichen Suchtkrankenhilfe. Wenn es diese in Ihrer Dienststelle nicht gibt, dann sprechen Sie Ihre Dienststellenleitung an oder wenden sich an Susanne Pape (susanne.pape@finanzen.bremen.de).

Wir danken Sandra Mehrtens und Werner Fechner für dieses Interview und natürlich für Ihr Engagement als Suchtkankenhelfer:in!